Subject-Specific Specialisation/Winter Semester 2024/25
Location: Red info box at intersection Johann-Joachim-Becher-Weg and Johannes-v.-Müller-Weg
Time: Wednesdays, 12:00–14:00
Current Research (in German)
Wie lebt(e) es sich in der Nachbarschaft zu einem Kernkraftwerk? Für die Menschen im Umkreis des Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar (GKN), zehn Kilometer südlich von Heilbronn gelegen, gehörte das Atomkraftwerk zum Alltag. Am 15. April 2023 wurde das Kraftwerk nach fast fünfzig Jahren abgeschaltet. Wie blicken die Menschen auf die bevorstehenden Veränderungen nach dem Atomausstieg und dem Rückbau des Kraftwerks? Wie spiegelt sich die kontroverse Debatte um das Für und Wider der Atomkraft in den Gemeinden vor Ort? Und was bedeutet die Abschaltung für diejenigen, die dort arbeiten? Erstmals wurden diese Fragen von sieben Studierenden der Empirischen Kulturwissenschaft der Universität Tübingen unter der Leitung von Karin Bürkert erforscht. Sie waren in den Gemeinden Neckarwestheim und Gemmrigheim unterwegs, haben Einwohner*innen befragt und in Archiven gestöbert.
Die noch junge Disziplin der Gendermedizin rückt seit einigen Jahren vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit. Während die geschlechtersensible Medizin in Forschung und Ausbildung immer noch um Anerkennung ringt, tragen populärwissenschaftliche Ratgeber, Rundfunk- und TV-Beiträge, vor allem aber Social Media auf gesellschaftlicher Ebene zu einer erhöhten Sensibilität für das Thema bei. Fragen danach, ob und wie Geschlechter unterschiedlich krank werden, gehen auf Forderungen der Frauengesundheitsbewegung seit den 1970er Jahren zurück, in deren Zuge eigene Aufklärungskampagnen gestartet und sogenannte Frauengesundheitszentren als Austauschräume etabliert wurden. Im Vortrag wird der aktuelle Stand von auf Oral History-Interviews und Archivrecherchen basierenden Forschungen zur Entwicklung gendermedizinischer Perspektiven im deutschsprachigen Raum aus diesen historischen Ursprüngen heraus thematisiert.
Dry January oder Veganuary - nach üppigem Genuss zu Weihnachten und Jahreswechsel steht der Januar für viele Menschen im Zeichen von Reduktion und Konsumzurückhaltung. Der für mehrere Wochen geplante Verzicht auf Alkohol und/oder Fleisch hat in den letzten Jahren als Trend stetig zugenommen. Im Zusammenspiel mit den ebenso klassischen wie oft belächelten Neujahrsvorsätzen geht dieser Impuls für viele jedoch noch weiter: Sie begreifen den Januar als „Aufräummonat“, in dem sie sich von Ballast und Überflüssigem trennen wollen. Doch leichter gesagt als getan: Die Reduktion des materiellen Besitzes ist eine Aufgabe, die nicht immer leicht fällt. Nicht umsonst haben Aufräum-Techniken wie die KonMari- oder Peter Walsh-Methode sowohl Popularität erlangt als auch ein eigenes Genre der professionellen Lebenshilfe und Beratungstätigkeit hervorgebracht. Unter dem Begriff „Ausmisten“ zeigen sich darin ebenso anspruchsvolle wie alltägliche Praktiken der Neuorganisation des Alltags. In meinem Vortrag werde ich diese Praktiken vorstellen, sie als Spielarten menschlichen Reduktionshandelns analytisch und begrifflich in einen weiteren thematischen Zusammenhang einordnen und auf diesem Weg Bausteine einer Kulturanalyse der Unterlassung entwickeln.
Auf der Suche nach Uranerz im aufkeimenden Kalten Krieg entdeckten sowjetische Geologen in Ronneburg, einem kleinen Ort in Thüringen, umfangreiche Lagerstätten. Die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut führte im Tagebauverfahren großflächige Förderungen durch – mit enormen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Direkt an der Stadtgrenze entstand ein riesiger Krater, der als Sperrgebiet ausgewiesen wurde. Die radikale Zerstörung der Landschaft hinterließ nach dem Ende des Uranerzabbaus 1990 kontaminierte Flächen, die seither saniert werden. Heute befindet sich auf dem ehemaligen Tagebaugebiet die „Neue Landschaft Ronneburg“, ein Freizeitareal und zugleich ein Ort, an dem mit der toxischen Vergangenheit gerungen wird.
Dieser Vortrag untersucht, wie im Sanierungsprozess Bedeutungen der Vergangenheit geformt werden und welche Rolle menschliche und nicht-menschliche Akteure dabei spielen. Mit dem Konzept des „nuclear heritage“ frage ich, wie kulturelle Deutungen der radioaktiv kontaminierten Landschaft entstehen und welche Herausforderungen diese für die Erinnerungs- und Umweltgeschichte mit sich bringen.
Es ist kein neuer Befund, dass Kultur (ob eng gefasst oder weit verstanden) Gegenstand der Politisierung, der Kontroverse und der politischen Instrumentalisierung ist. Gleichwohl geht der Vortrag davon aus, dass gegenwärtig eine Intensivierung der Politisierung von Kultur zu beobachten ist, die durch Debatten in den sozialen Medien geradezu befeuert wird. Hier entfalten sich dann mitunter enorm skandalisierende und mobilisierende Diskussionen etwa um die „richtige“ Form oder die „korrekte“ Ausübung von Kultur. Die einen fordern Transformation und Veränderung, indem sie etwa Ausschnitte von Kultur problematisieren; die anderen beharren auf bestimmten Ausdrucksformen. Im Widerstreit um Deutungshoheiten finden sich neue Formen der (Re-)Essenzialisierung von Kultur, formieren sich (neue?) Containermodelle von Kultur, von denen sich gerade die Empirische Kulturwissenschaft längst verabschiedet hat. Der Vortrag diskutiert verschiedene Formen der Politisierung von Kultur, problematisiert die daraus resultierenden Effekte und fragt dabei auch nach der Rolle (kultur)wissenschaftlichen Wissens.